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Am Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen am 5. Mai dreht sich alles um Selbstbestimmung und Inklusion. Behindertenanwältin Christine Steger findet zur Situation von Menschen mit Behinderungen in Österreich klare Worte und Zahlen, die für sich sprechen.

In Österreich leben mehr als 1,3 Millionen Menschen mit Behinderungen. Das sind rund 20 Prozent oder fast ein Viertel der österreichischen Bevölkerung. Seit 18 Jahren gibt es das Behindertengleichstellungspaket. Es ist dazu da, Menschen mit Behinderungen gesetzlich vor Diskriminierung zu schützen und ihnen zu ermöglichen, dass sie sich dagegen aktiv zur Wehr setzen. Seit 2008 ist die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Österreich in Kraft. Eine lange Zeit, in der Umdenken und gesellschaftliche Veränderungen durchaus möglich sind – möchte man meinen.

Besser, aber noch lange nicht gut
„Tatsächlich hat sich einiges getan“, bestätigt Christine Steger. „Die Situation ist heute sicherlich anders als vor 20 Jahren. Die Maßnahmen, die dazu geführt haben, haben wir zum Großteil dem Behindertengleichstellungspaket und der UN-Behindertenrechtskonvention zu verdanken.“ Dennoch: Das Ziel einer Gesellschaft, in der Selbstbestimmung und Gleichberechtigung für Menschen mit Behinderungen genauso selbstverständlich ist wie für alle anderen, ist noch lange nicht erreicht. Und solange die öffentliche Hand festgefahrene Systeme, die ein falsches Bild von Menschen mit Behinderungen aufrechterhalten und sie an den Rand der Gesellschaft drängen, nicht gezielt sprengt, bleibt der Weg lang und steinig.

Weitere Informationen zu diesem Thema können Sie aus unserer Presseaussendung entnehmen:

Presseaussendung

Am 8. März ist internationaler Frauentag – weltweit Anlass, um auf den Kampf von Frauen um Gleichberechtigung aufmerksam zu machen. Frauen mit Behinderungen erleben diesen Kampf in mehrfacher Hinsicht. Die Behindertenanwältin und der Verein Ninlil rufen auf: Wir müssen Frauen mit Behinderungen dabei unterstützen, sich für ihre Rechte und ihre Sichtbarkeit in der Gesellschaft einzusetzen.

Wer Teil der Gesellschaft sein möchte, muss sich gut verständigen können. Sprache ist dafür enorm wichtig. Zum internationalen Tag der Muttersprache am 21. Februar fordern die Behindertenanwältin und der Österreichische Gehörlosenbund: Die Anerkennung der Österreichischen Gebärdensprache muss den Weg in die Praxis finden.

Wie geht es Ihnen mit Ihrem Umfeld und Ihren Mitmenschen? Fühlen Sie sich gut eingebunden, verstanden und respektiert? Können Sie sich ausreichend einbringen, mitreden? Für gehörlose Menschen ist all das oft nicht selbstverständlich. Der Grund dafür: Informationen in ihrer Muttersprache, die sie gut verstehen, in der sie sich natürlich ausdrücken können und mit der sie sich wohl fühlen, fehlen im Alltag genauso wie in wichtigen Schlüsselsituationen.

Der Grundstein liegt schon lange

Die Österreichische Gebärdensprache ist eine vollwertige, eigenständige Sprache einer österreichischen Minderheit und somit Ausdruck ihrer kulturellen Identität. Seit 2005 ist das in der österreichischen Bundesverfassung verankert. „Dieses Signal war extrem wichtig“, erkennt Christine Steger, Behindertenanwältin des Bundes, an. „Seitdem hat man aber viel zu wenig darauf aufgebaut. Die Menschen brauchen spürbare Verbesserungen. Dazu reicht es nicht, dass ihre Sprache auf dem Papier anerkannt ist. Man muss Informationen und Kommunikationsmöglichkeiten in Österreichischer Gebärdensprache im täglichen Leben verlässlich anbieten, damit sie gehörlosen Menschen zu Chancengleichheit in der Gesellschaft verhelfen können.“ Auch die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen gibt das vor. Sie verpflichtet den Staat dazu, geeignete Maßnahmen zu treffen.

Teilhabe von Anfang an

Es braucht verschiedene Arten von Maßnahmen. Ganz wesentlich ist der Bildungsbereich. „Bildung und Wissen spielen eine große Rolle, wenn es um gleiche Chancen und Teilhabe in allen Lebensbereichen geht“, betont Helene Jarmer, Präsidentin des Österreichischen Gehörlosenbundes. „Dabei müssen wir schon ganz früh ansetzen: in Kindergarten und Schule. Was Kinder in dieser Phase erfahren und lernen, bestimmt das ganze restliche Leben. Doch wie sollen sie die Lerninhalte verstehen, wie sollen sie Teil der Klassengemeinschaft werden, wenn Lehrer*innen und Mitschüler*innen eine Sprache sprechen, die sie nicht in gleicher Weise wahrnehmen können?“ Nun ist in diesem Bereich endlich ein Durchbruch in greifbarer Nähe: Ein Lehrplan zu Österreichischer Gebärdensprache wurde entwickelt uns soll bereits im Schuljahr 2024/25 zum Einsatz kommen.

Recht auf Barrierefreiheit

Diese Initiative ist ein wichtiger erster Schritt, doch damit ist es noch lange nicht getan. Barrierefreier Zugang zu Information und Kommunikation ist in allen Lebensbereichen eine Voraussetzung für Inklusion. Und es gibt ein Recht darauf, wie Christine Steger weiß: „Das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz verbietet, dass Menschen wegen ihrer Behinderung benachteiligt werden. Daher müssen öffentlich angebotene Güter und Dienstleistungen barrierefrei zugänglich sein. Dafür müssen die Anbieter*innen sorgen – und zwar nicht nur, wenn es dafür eine finanzielle Förderung der öffentlichen Hand gibt, sondern immer und überall, wo es gebraucht wird.“

Mangelware Dolmetsch

Doch auch dort, wo der Wille da ist, fehlt oft der Weg zur Umsetzung: Es gibt viel zu wenig Dolmetscher*innen für Österreichische Gebärdensprache. Digitale Gebärdensprachdolmetscher, sogenannte Avatare, sieht die Interessenvertretung gehörloser Menschen problematisch. „Auf den ersten Blick erscheint die Technologie verlockend. Künstliche Intelligenz kann aber eine Person, die beim Dolmetschen Verstand und Gefühle einbringt, nicht ersetzen“, so Helene Jarmer. „Man darf sich nicht davon täuschen lassen, dass Avatare wirtschaftlich gesehen vielleicht attraktiver sind. Was wir brauchen, sind mehr Dolmetscher*innen.“ Dazu müssen zusätzliche Ausbildungsangebote und ansprechende Bedingungen für die Berufsgruppe der Dolmetscher*innen geschaffen werden.

Schritt für Schritt zum Ziel

Die Liste der Bereiche, in denen es Maßnahmen zur Verbesserung der Situation gehörloser Menschen in Österreich braucht, ist lange. Selbst dort, wo es deutliche Fortschritte gibt, ist noch viel zu tun. Das betrifft zum Beispiel die barrierefreie Aufbereitung medialer Angebote oder die öffentliche Verwaltung. Ein besonders wirksamer Hebel wäre, die Österreichische Gebärdensprache als Unterrichtssprache gesetzlich zu verankern. Doch egal, in welcher Reihenfolge welche Maßnahmen umgesetzt werden: Jede einzelne muss mit der Gehörlosen Community verhandelt werden, die Finanzierung muss gesichert sein und sie muss echte Verbesserungen im Alltag bewirken.